Durch die wachsende Mobilität der europäischen Bevölkerung war es erforderlich die Frage, welches Recht auf einen Erbrechtsfall Anwendung findet neu zu beantworten. Die EU schätzt, dass ca. 10% der europäischen Bevölkerung auf Grund von Umzug, Arbeit und Studium sich nicht mehr in ihrem Heimatland befinden. Daraus folgen jährlich eine halbe Millionen von grenzüberschreitenden Fällen in der EU.
Um diesem Erscheinungsbild Herr zu werden wurde die EU-Erbrechtsverordnung am 17.08.2015 in Kraft gesetzt. Sie findet Anwendung auf Sterbefälle, die nach dem 17.08.2015 sich ereignet haben. In der Zeit davor hat Deutschland die Frage, welches Recht auf einen internationalen Erbrechtsfall Anwendung findet, damit beantwortet, dass es an die Staatsangehörigkeit des Erblassers angeknüpft hat.
Durch die EU-Erbrechtsverordnung kommt es nun für Deutschland zu einem vollständigen Paradigmenwechsel, denn die Verordnung knüpft für die Beantwortung der Frage, welches Recht auf einen internationalen Erbfall Anwendung findet, an den gewöhnlichen Aufenthaltsort an. Dabei geht die EU-Erbrechtsverordnung davon aus, dass ein internationaler Erbrechtsfall vorliegt, wenn der Erblasser in einem anderen als seinem Herkunftsland lebte, wenn die Erben in einem anderen Land als der Erblasser leben oder wenn dieser Vermögenswerte in mehreren Ländern besaß.
Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort ist keine leichte Entscheidung, denn es ist eine wertende Entscheidung, wo sich der letzte Aufenthaltsort eines Erblassers befunden hat. Üblicherweise ist der gewöhnliche Aufenthalt in dem Land, zu dem der Erblasser eine besondere enge und feste Beziehung hatte. Wie ist aber zu entscheiden, wenn der Erblasser aus beruflichen Gründen in ein anderes Land entsandt wurde, oder er lebte in mehreren Ländern, ohne sich dauerhaft niederzulassen. Entscheiden wird sein, wie lange und wie oft der Erblasser sich in einem bestimmten Land aufgehalten hat, auf Grund welcher Umstände und Gründe er den Aufenthalt in einem Land gewählt hat und welche familiären und soziale Beziehungen der Erblasser hatte, um seinen Lebensmittelschwerpunkt zu finden.
Bei einem Rentner, der sich über Monate in seiner Finca auf Mallorca aufhält, ohne seine Bindungen zu Deutschland abzubrechen, ist wohl davon auszugehen, dass sein gewöhnlicher Aufenthaltsort in Deutschland befindet, da Mallorca doch eher sein Urlaubsort war.
Wie ist aber zu entscheiden, wenn ein deutscher Abgeordneter des Europäischen Parlaments sich sowohl in Berlin, Straßburg und Brüssel aufgehalten hat und er in jeder Stadt sowohl berufliche als auch private Kontakte pflegte und in Berlin und Brüssel jeweils eine Wohnung unterhielt und sich sein Vermögen in der Schweiz. Die Antwort kann nur mit einer genauen Analyse seiner privaten und beruflichen Aufenthaltszeiten, den familiären und sozialen Kontakten der Lebensmittelschwerpunkt festgestellt werden. Letztendlich ist es eine Ermessenentscheidung des angerufenen Nachlassgerichts, dass die Frage zu entscheiden hat.
Ist das anwendbare Recht gefunden, befindet sich der deutsche Erblasser und seine Erben dennoch auf unsicheren Terrain, wenn der Erblasser mit seiner Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament verfasst hat und z.B. mit letztem Aufenthaltsort in Spanien verstirbt. Das spanische Recht kennt das gemeinschaftliche Testament, welches in seiner typischen Form als Berliner Testament ausgestalte ist, nach dem deutschen Recht nicht und nimmt dessen Unwirksamkeit an. Dies mit dem für die Ehefrau schockierenden Ergebnis, dass auf den Erbfall die gesetzliche Erbfolge zur Anwendung gelangt.
Um diese Zufälligkeiten bei der Findung des anwendbaren Rechts einen Riegel vorzuschieben und eine materiell-rechtliche Sicherheit für den Erblasser und seine Erben zu erreichen, ist dem Testierenden dringend zu empfehlen in seinem Testament eine Rechtswahl anzuordnen, die er zugunsten seines Heimatrechts entweder zum Zeitpunkt der Testierung oder zum Zeitpunkt des Todes aussprechen kann. Dabei haben EU-Bürger mit mehreren Staatsangehörigkeiten die Möglichkeit unter ihren Staatsangehörigkeiten frei wählen zu können. Dabei kann die Wahl auch auf ein Drittland fallen. Ein in New York in den USA Geborener mit deutschen Eltern, der also sowohl die amerikanische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit hat, kann als sein Heimatrecht das amerikanische Recht des Teilstaates New York wählen.
Die Wahl des gewöhnlichen Aufenthalts oder die Rechtwahl nach dem Heimatrecht kann dazu führen, dass das deutsche strenge Pflichtteilsrecht gegenüber den Abkömmlingen gänzlich umgangen werden kann. Verzieht beispielsweise der Erblasser von Deutschland nach dem Vereinigten Königreich oder nach Irland findet das englische oder irische Erbrecht Anwendung auf den Nachlass, welches ein Pflichtteilsrecht nicht kennt.
Dies auch, obwohl das Vereinigte Königreich, Irland und auch Dänemark die EU-Erbrechtsverordnung nicht unterzeichnet haben. Diese Länder werden behandelt wie Drittländer.
Ist ein Testament von einem Mitgliedsstaat der EU anerkannt worden, entfaltet dieses Testament auch Wirksamkeit in den anderen Ländern der EU. Dies kann ggf. nicht in einem Drittland gelten.
Um diese EU-Erbrechtsverordnung formal in Europa umsetzen zu können, führt die Verordnung das Europäische Nachlasszeugnis ein. Es wird ausgestellt vom zuständigen Nachlassgericht, wo der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das Nachlasszeugnis weist aus, welche Rechtsstellung der Erbe, Vermächtnisnehmer oder Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter hat. Es wird für die Länder ausgestellt, wo der Erblasser Vermögenswerte hinterlassen hat. Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Mannheim und besaß zudem ein Ferienhaus in Südfrankreich und ein Bankkonto in Italien, stellt das Amtsgericht Mannheim, das Nachlassgericht, ein Europäisches Nachlasszeugnis aus, das Gültigkeit in Deutschland, in Frankreich, zur Umschreibung der Immobilie, und auch in Italien, zum Auflösen des Kontos, hat.
Das Europäische Nachlasszeugnis besitzt nur Wirksamkeit für sechs Monate, was als sehr kurz empfunden wird. Die Dauer der Wirksamkeit kann jedoch auf Antrag verlängert werden.
Mannheim, den 20.12.2017, gez. MN